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April 13th, 2020

13/4/2020

 

Klagen neu entdecken

Wir wollen immer eine schnelle Lösung für alles. Ich glaube, deshalb tun wir uns schwer damit, die Kreuzigung und Auferstehung Jesu als wirkliche Lösung für das Problem des Bösen in dieser Welt (d.h. Gottes Schöpfung) zu sehen. Für viele wird diese Lösung erst ausserhalb dieser Welt real, im Jenseits, im Himmel. Auf der Erde passiert ja immer noch sehr viel Böses. Aber die Bibel besteht darauf, dass die Lösung durchs Kreuz für diese Welt ist (und kein Notausgang aus dieser Welt). Aber was ist denn das für eine Lösung, wenn sich äusserlich 'offensichtlich' nichts geändert hat? Es ist ja kein Weltfriede angebrochen. Menschen handeln immer noch habgierig und rücksichtslos. Die ‘Götter’ Macht, Sex und Geld sind immer noch sehr mächtig. Ist diese göttliche Lösung vom Kreuz nicht einfach 'innerlich', für das Herz? Ja, es stimmt: Gottes Lösung fängt im Herzen des Einzelnen an. Und ja, es stimmt: Das Kreuz hat nicht einfach alles Böse der Welt magisch ausgelöscht. Aber das ist der Punkt: Die Lösung Gottes für diese Welt ist nicht schnell und nicht einfach, aber es ist die Lösung. Und, wie das Kreuz zeigt, beinhaltet diese Lösung Schmerz und Leid, um uns davon zu erlösen.
Die Juden haben seit dem traumatischen Exil von Babylon im 6.Jh. v.Chr. gewusst, dass sie erst nach einer Zeit des Leids von Gott erlöst werden. Ja, vielleicht kommt Gottes Erlösung nicht nur einfach nach diesem Leid, sondern gerade durch dieses Leid – so wie es im grossen Gedicht von Jesaja 40-55 prophezeit wird. Jesus war überzeugt, dass sein Leiden repräsentativ die Er-Lösung für Israel und die Welt bringt. Und so ist es auch. Aber weder das Kreuz noch die Auferstehung brachten eine schnelle und einfache Lösung. 
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Seither ist Gottes heilbringendes Königreich auf Erden aufgerichtet worden, wie ein Same, der klein aufsprosst, aber schliesslich viel Frucht bringt (vgl. Mk 4; Mt 13). In dieser Spannung zwischen Heil und Leid müssen wir – gerade angesichts des Leids, das uns durch die gegenwärtige Krise stärker bewusst gemacht wird – etwas neu entdecken: Biblisch Klagen. Klagen klingt hoffnungslos und anklagend. Biblisch Klagen ist aber eben nicht so. Die Klage ist eine kraftvolle Tradition, die wir besonders in den Psalmen sehen. Klagepsalmen haben nichts mit Anklagen zu tun. Die Israeliten in der Wüste haben sich bei Gott beklagt, weil sie zu wenig Wasser, Brot und Fleisch hatten (2 Mose 16-17). Sie klagten Gott an, als ob er sie in der Wüste töten wolle. Aber in den Psalmen sind Klagen eine Form von Gebet. Die eigene Not wird vor Gott ausgeschüttet, weil man auf Gottes Güte und Liebe vertraut – aber trotzdem keine rational befriedigende Antwort auf das Leid erhält. Gott ist ein Gott des Rechts und der Gerechtigkeit und war in der Vergangenheit treu zu seinen Zusagen. Sich beklagen bedeutet Gott anzuklagen, als ob er es schlecht mit uns meint. Klagen bedeutet Gott anzurufen (an ihn zu appellieren) – in Schmerz, in Not, in Verständnislosigkeit –, weil man auf seinen guten Charakter hofft. Biblisch Klagen ist eine Gebetsform für jetzt, in dieser Spannung, in dieser Zwischenzeit. Einmal wird Klage verstummen, weil Gott alle Tränen abwischen wird (Off 21,4).
Im grossartigen Kapitel von Römer 8 wird uns diese Spannung eindrücklich vor Augen geführt: Im Messias Jesus sind wir aus dem Griff der Sünde erlöst worden (8,1-11; wie Israel aus Ägypten). Die Sünde wurde in Jesus am Kreuz verurteilt (8,3). Uns wurde als Kinder Gottes der Heilige Geist geschenkt, der uns führt (8,14-16; wie Gottes Gegenwart für Israel in der Wüste). Wir erwarten in Zeiten der Prüfungen und des Leids unser volles Erbe: die Erlösung unseres Körpers in der Auferstehung – weil Jesus auferstand (8,17-23; wie Israel auf dem Weg ins verheissene Land). An dieser Stelle sagt Paulus etwas, das mich kürzlich überraschte: Die ganze Schöpfung seufzt und stöhnt, man könnte sagen: klagt (8,22), weil sie sich nach der vollständigen Erlösung sehnt. Aus den Psalmen kennen wir das Bild, dass die Schöpfung Gott preist. Hier bei Paulus lernen wir noch ein anderes Bild kennen: Die Schöpfung klagt mit unter dem Leid, das in ihr geschieht. Wörtlich heisst es, dass sie ‘in Geburtswehen liegt’. Klagen heisst hier seufzend nach Gottes Heil auszurufen, Gott aufzufordern, sein heilsames Gericht zu bringen, um alles zurechtzurücken. Paulus denkt hier wohl zuerst an das Leid, das Christen in Verfolgung erfahren. Aber als Kinder Gottes und Erben dieser neuen Schöpfung stehen wir keineswegs über dem Leid, unter dem die Welt insgesamt leidet. Auch wir, sagt Paulus, seufzen und erwarten sehnlichst die volle Erlösung. ‘Erbarme dich, rette uns!’ Das tun wir, obwohl oder gerade weil wir schon Gottes Geist als Garantie dafür bekommen haben (8,23). Wir klagen nicht hoffnungslos, aber auch nicht unberührt. Ja, es ist sogar der Heilige Geist in uns, der uns dazu inspiriert klagend zu beten, wenn wir nicht mehr wissen, wie – «mit unaussprechlichen Seufzern» (8,26). 
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Aber zeigt das Klagen denn nicht, dass Gott noch keine Lösung gebracht hat? Gottes Lösung wird auch im Klagen sichtbar, weil Jesus das Leid nicht einfach magisch ausgelöscht hat, sondern am Kreuz in unser Leid eingetreten ist. Wenn wir klagen, nehmen wir Anteil an der Lösung des Kreuzes, indem Gott selbst in uns durch seinen Geist für das Leid um uns betet – und uns dadurch umgestaltet und anspornt, das Leid konkret zu lindern. Der Geist in uns, der uns durch die Auferstehung Jesu (8,11) unsere ultimative Erlösung garantiert (8,28), befähigt uns, bereits jetzt ein konkretes Zeichen dieser Erlösung zu sein. Ja, die Schöpfung «sehnt sich nach der Offenbarung (wohl Auferstehung) der Kinder Gottes» (8,19; vgl. Kol 3,4; Phil 3,21). Warum wohl? Ich vermute, weil das erlöste Volk Gottes im Erbe (Auferstehung!) zur Erlösung der Erde (Gottes Schöpfung) beiträgt. Das war für den Menschen allgemein vorgesehen (Gen 1-2; Ps 8) und so war das auch für Israel im Land gedacht. Und diese Erlösung wird jetzt – so wie das Kreuz – auch im klagenden Gebet sichtbar.
Jesus betet am Kreuz einen Klagepsalm (Ps 22). Mit Recht weisen wir darauf, dass dieser Psalm am Ende in Sieg über das Böse und Jubel über die Gottesherrschaft umschlägt. Doch Jesus wird nur zitiert, wie er den ersten verzweifelten Satz betet: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?» Vergessen wir nicht: Es ist biblische Klage, keine Anklage. Ohne in eine dogmatische Diskussion zu verfallen, kann man festhalten, dass Jesus sich dadurch mit dem Leid der Welt und ihrer Gottverlassenheit repräsentativ identifiziert. Er erleidet das Leid der gottverlassenen Welt. Dabei nimmt er dieses Leid gerade nicht stoisch-gelassen wie ein Sokrates auf sich, sondern klagt. So sehr bestätigt er, dass das Leid real ist und dass es böse ist. Er bietet keinen dualistischen Ausweg daraus (Seele erlöst im Himmel vs. Körper verwest im Grab), sondern bekräftigt durch sein Klagen die Hoffnung auf die vollkommene Erlösung der Schöpfung (Himmel und Erde). Und dann kam die Auferstehung.
 
Ich brauche keine vorläufige Antworten auf das Leid der Welt, weil ich die ultimative Antwort darauf anerkenne (Jesu Kreuz und Auferstehung). Das macht mich aber nicht kalt und unberührt, wenn ich Leid sehe, sondern schafft mir Raum zum Klagen. Biblisch Klagen hilft mir, ohne verkürzte Antworten, die Spannung nicht aufzulösen, sondern in der Kraft des Geistes auszuhalten. 

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    Autor

    Luca Agnetti

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